Sich einfach nur die Decke über den Kopf ziehen – das scheint zur Zeit sehr verlockend. Die Bilder von Tod und Zerstörung nicht mehr sehen müssen. Die Hassparolen nicht mehr hören müssen. Die eigene Sorge und Ohnmacht nicht mehr spüren zu müssen.

Immer öfter kommt mir meine facebook-Timeline unwirklich vor: Auf der einen Seite die Nachrichten, die voll sind von Terror und Gewalt – und zeitgleich eine unglaubliche Menge von Glücksverheißungen, die Aufforderung das eigene Potential zu entwickeln (und dann wird alles! gut, ach was: nicht nur gut – perfekt, sorgenfrei, traumhaft), da lese ich von einem „Recht auf gute Gefühle“, das (wohl motivierend gemeinte) Postulat die traurigen Seiten des Lebens zu transformieren und „einfach glücklich zu sein“. Die hübschen Bilder vom Latte im Café mischen sich zwischen die verstörenden Bilder von zerstörten Städten und Polizeiabsprerrungen. Die unglaublich guten Ratschläge (autsch!) sich doch „wirklich mal gut zu entspannen“ mit den zynischen Fragen, die der Kanzlerin unglaublich un-subtil, eine persönliche Schuld an dem was ist unterstellen. Voll das Leben?

Mir erscheint es immer schwieriger in die hysterischen „Gespräche“ über die deutsche Gesellschaft mit ihrem angeblichen durch die Präsenz der Flüchtlinge hervorgerufenen Sicherheitsproblem, Ruhe, Wohlwollen und Besonnenheit einzubringen. Das kurzatmige und kurzdenkende „Angst!“-Sprech ruft mich zum Widerspruch – und lässt mich immer öfter mit dem Gefühl zurück, hemmungslos naiv zu sein und einfach keine Ahnung zu haben, von dem was „wirklich los ist“. Ich komme – auch bei ansich ganz vernünftigen Menschen – nicht mehr an mit differenzierten und differenzierenden Argumenten.

Die verbalen Brandstifter machen mir Angst, die Politiker, die aus welchen Gründen auch immer (und ich bin mir nicht sicher, dass es einfach nur Dummheit ist) mit ihren kurzen knackigen Statements zündeln und ein Programm des Misstrauens, der Abgrenzung, der klaren Schuldzuweisungen ausrufen. Eigentlich macht mir das nicht nur Angst. Ich finde es widerlich, ekelerregend – zum Kotzen!

Einfach wieder ins Bett, die Decke über den Kopf ziehen und warten, bis es vorbei ist.

Verlockender Gedanke.

Alternativ: Als Coach auf den Zug aufspringen und „Perspektive bieten“, die Menschen daran erinnern, dass sie selbst bestimmen, ob sie traurig sein wollen oder fröhlich. Das Unangenehme reframen, die „hinderlichen Glaubenssätze“ bearbeiten und transformieren. Dabei die Toten und die zerbombten Städte ausblenden. Den Menschen, die ich dann Kunden nenne, beim Rückzug ins Private zu helfen. Den Markt zu nutzen, der entsteht durch die Meldungen von Gewalt, Terror und Krieg, die zum Gefühl von Ohnmacht und Verzweiflung und Angst führen. Ich könnte ihnen eine Schwäche unterstellen, um sie dann stark zu machen.

Ich könnte aufhören, von sozialer Gerechtigkeit zu sprechen, von globaler Verantwortung und dem Gewolltsein eines jeden Menschen.

Kann man so machen. Ist dann halt scheiße.

Denn: Ich weigere mich, die Überzeugung zu teilen, dass jeder Mensch immer und zu jeder Zeit ein Recht auf gute Gefühle hat.

Menschen haben das Recht auf Leben in Freiheit und Sicherheit. Das Recht auf Unterstützung und Asyl, auf Bildung und auf Teilhabe. Und Ja!: ich wünsche jedem Menschen glückliche Momente, die Erfahrung geliebt zu sein und zu lieben, bitte gerne ganz viel das Erleben von Lebendigkeit. Wenn’s nach mir geht, so oft er will und es braucht. Na klar! Ich selbst strahle auch lieber mit der Sonne um die Wette, als dass ich weine und mich vor Trauerschmerz krümme. Aber: Ein Recht habe ich darauf nicht. Das Leben funktioniert so nicht! Die Erfahrung von Ohnmacht, Trauer und Angst ist genau so normal und wichtig, wie die Erfahrung gestalten zu können, zu lieben und mich sicher zu fühlen.

Und deshalb gibt es überhaupt keinen wirklich guten Grund, die Decke über den Kopf zu ziehen und abzuwarten, dass das Schlimme vorbei ist. Jede Menge Anlässe dafür, ja, aber keinen guten Grund.

Ein kluger Mensch hat mir dieses Jahr einen grandiosen Satz ins Hirn und in die Seele gepflanzt:

Verlernen wir die Angst!

Umso mehr ich mit diesem Satz lebe, umso mehr Kraft gibt er mir. Und auch klar: Es geht nicht darum, die gute Vorsicht, die Umsicht, zu verlernen. Sie schützt und bewahrt vor unsinniger Gefahr. Angst ist in gewisser Hinsicht etwas Wichtiges und Wunderbares – von Rilke stammt glaube ich der Satz , „Unsere tiefsten Ängste sind wie Drachen, die die inneren Schatzkammern bewachen“. Es geht da, meine ich, in einem ersten Schritt vielmehr darum, die Angst vor der Angst aufzugeben. Ich kann meiner Angst freundlich begegnen, meiner Ohnmacht, meiner Verzweiflung und meiner Trauer. Ich habe – im Interesse meines ganzen Menschseins – ein Recht darauf, Angst zu haben, mich machtlos und verzweifelt zu fühlen, zu trauern.

Und darin die Hoffnung nicht aufzugeben, durch diese Art zu leben, zu denken, zu empfinden – mit mir selbst umzugehen – in anderen Menschen einen Funken Ruhe, Besonnenheit und Differenziertheit zu wecken. Funken, die sich zu einem wärmenden, wohlwollenden Feuer entwickeln können. Einem Feuer, an dem sich Fremde wärmen können und andere, die traurig und voller Angst sind.

Und nein: naiv ist das nicht. Es verkauft sich halt nicht so sonderlich gut. Damit kann ich gut leben.

Aber nicht alleine.

Und deshalb einen weihnachtlichen Dank an die, die auch so leben, die auch barfuß im Herzen sind, an deren Funkenschlag ich mich immer wieder neu entzünden kann und an deren Engagement ich mich wärmen kann, wenn die Lust, mir die Decke über den Kopf zu ziehen so übergroß wird.

 

Angst!