Manchmal kann ich nicht anders, als genervt zu sein. Dann gehen mir Leute so dermaßen auf die Nerven…

Damit meine ich nicht, oder zumindest nicht nur, meinen neuen Nachbarn, der seit sechs Wochen seine Wohnung renoviert und mir (leider total umkalkulierbar) einen grusligen Lärm in meinem Arbeitszimmer beschert.

Ich meine auch nicht, die Kollegin, die mir schon früh morgens auf Facebook ihre pseudointellektuellen Worthülsen entgegen reckt, die ich nur mit Mühe ignorieren kann. Wobei: Die schon eher, die ist in echt nämlich auch so.

Ich meine noch nicht einmal meine Ärztin, deren Standardfrage „Hatten Sie Stress?“ mir wirklich Stress macht.

Und doch: Genau das meine ich! Davon bin ich genervt – auch wenn es mich nicht nerven sollte.

Der Nachbar will seine Wohnung renovieren, was eigentlich eine gute Idee ist. Das macht halt mal Lärm und dauert in unserem alten Haus halt auch. Kenne ich doch von unseren Umbaugeschichten.

Die Kollegin hat halt mal diese Art und Weise zu argumentieren und mag es, ihre Ideen so zu präsentieren. Vielleicht kann sie es ja auch einfach nicht besser. Bestimmt liegt da in meiner Lebensgeschichte irgendwo ein Trigger verborgen, vielleicht sind wir uns einfach zu ähnlich und ich tappe in die Projektionsfalle. Da brauch ich doch nicht genervt zu sein, das hat ja gar nichts mit mir zu tun, das ist doch ihr Ding.

Tja, und meine Ärztin meint es ja nun wirklich gut und sucht nach dem Auslöser für meine Viruserkrankung. Natürlich hatte ich Stress, bevor ich krank wurde. Lässt sich in meinem Beruf ja auch gar nicht vermeiden, ab und zu Stress zu haben. Ist ja auch nichts Schlimmes.  Ich glaube, man kann, wenn man halbwegs engagiert lebt, gar nicht anders, als ab und zu Stress zu haben. Die Stressvermeidungs-Ideologen gehen mir nämlich auf die Nerven – aber davon hab ich ja schon mal geschrieben… Was ist denn überhaupt dieser Stress, von dem die immer sprechen? Ich glaube, da lohnt sich mal ein genauerer Blick… Vielleicht meint dieses Wort ja doch was ganz anderes, als ich meine…

Aber wer ist eigentlich diese Autorität, die verkündet, ich müsse davon nicht genervt sein? Die meint, ich sei eigentlich gar nicht vom Handeln des Anderen genervt, sondern habe eine unglückliche Interpretation seines Verhaltens?

Und ob ich genervt sein darf!

Wenn ich genervt bin, nervt mich der wohlige Rat, mich „innerlich zurück zu lehnen und zu erkennen, wie unwichtig das ist“ oder noch besser, die eindringliche Mahnung „das nicht persönlich zu nehmen“, weil es ja „die Sache des Anderen“ ist (wahrscheinlich hatte er eine schwere Kindheit | Stress mit dem Partner | Geldsorgen | (erweitere beliebig!)) erst so richtig! Wenn ich dieses „Gefühl“ wahrnehme, dann ist das für mich jetzt gerade wichtig und dann hat mich da etwas persönlich getroffen! Das zu leugnen, führt keinen Schritt weiter. 

Die Wahrnehmung dieses Gefühls ist wichtig – und das freundliche Willkommen heißen.

Ich frag mich – aus gegebenen Anlass –  was bedeutet eigentlich diese Empfindung „genervt sein“?

„genervt sein“ ist ein Gefühl, das mit einer klaren (?) Körperreaktion einher geht: Wenn ich nervös werde, kommt es zu einer kurzen, nicht gesteuerten Muskelanspannung, ein „hallo wach“. Ich glaube, das zeigt schon eine wichtige Funktion dieses Gefühls: Ich merke, da ist etwas nicht so, wie ich meine, dass es sein soll. Da stört etwas oder jemand meine Routine, meine Strategie,  mit der ich mein Ziel verfolge. Dabes ist dann auch ziemlich egal, ob es das Ziel ist, den Wocheneinkauf zu machen oder einen wichtigen Artikel zu schreiben oder mit Kollegen zusammen ein Konzept für die gemeinsame Arbeit zu entwickeln. Wenn ich da genervt bin, ist die Effizienz meiner Handlungsstrategie gestört. Mein „genervt sein“ zeigt an, wo in dem System, in dem ich lebe und arbeite, etwas nicht rund läuft – und damit nicht effizient. Dort, wo was nervt, so richtig nervt, ist der Ansatzpunkt, etwas Neues zu etablieren. Nicht einfach weiter machen, wie es immer war und alte Strategien (und persönliche Handlungsmuster) weiter führen: kreativ und mutig, „hungry and foolish“ etwas Neues probieren.

Und das geht wohl nur im Kontakt und in der Kommunikation mit den Anderen, mit denen, die mich nerven!

Meistens löst sich diese Anspannung wieder (und ja: Ich meine schon auch, dass es sich nicht lohnt, sich über Kleinigkeiten aufzuregen, das meiste, was so im Alltag nervt, vergeht ohne Intervention schneller als mit). Aber manchmal bleibt die Anspannung, verwandelt sich in eine (innere) Härte. Damit verliere ich meine Weichheit und Dynamik, meine Kontaktfähigkeit. Manchem schlägt das auf den Magen, andere haben die Nase voll, dem Dritten raubt es den Schlaf und nicht wenige nehmen es sich zu Herzen oder ertragen es nicht mehr: Die ganze Palette stressbedingter (lieben Gruß an meine Ärztin!) Krankheitsbilder kommt hier auf die Bühne.

Dann wird es schwierig, zusammen mit den Anderen, der mich nervt, etwas Neues zu etablieren, die Situation zu gestalten und das was mir wichtig ist, zusammen mit anderen Wirklichkeit werden zu lassen. Denn dann ist er „auf einmal“ da: Der Stress. Nicht der akute, wichtige, kraftvoll lebendige. Sondern der chronische, lähmende, kränkende.

„genervt sein“ ist ein Vorbote von chronischem Stress

Wenn das so ist, dann macht es doch Sinn, da rechtzeitig auszusteigen – nämlich dann, wenn ich merke, „Du nervst mich!“ oder „Das nervt mich!“ Nicht zu warten, bis ich mich wie gelähmt zurück ziehe und nicht mehr aus dem Kampf- oder Fluchtmodus aussteigen kann. Im Kontakt mit dem Anderen bleiben – und sagen, was ich empfinde, denke, will.

Eine Übungsanregung:

Nimm wahr, dass Du genervt bist und sprech das aus! Ehrlich, ungeschminkt und klar. Und dann sei neugierig, was passiert. Sehr wahrscheinlich wird es besser!

Ich bin gespannt, was Sie davon erzählen werden!

Eine der Sinngeschichten von Paul Watzlawicks „Anleitung zum Unglücklichsein“ beschreibt ja wunderbar, was passiert, wenn man nicht zeitnah anspricht, was nervt…

Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar ihm den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er ihn nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen ihn. Und was? Er hat ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von ihm ein Werkzeug borgen wollte, er gäbe es ihm sofort. Und warum sein Nachbar nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen ausschlagen? Leute wie der Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet der Nachbar sich noch ein, er sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s ihm aber wirklich. Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er „Guten Morgen“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!“

Du nervst mich!